Mich schickt das fünfte Semester in die Ferne, nicht sehr weit, nach Polen nur, in die Gegend von Warschau. Von hier aus lässt sich viel erkunden, auch der Süden und der Norden.
Da gibt es die Erzählungen der Großeltern aus ihrer Heimat. Die Wochenenden bieten sich an für Kurzreisen, ein freies Wochenende bringt mich in den Westen, nach Breslau (Wrocław). Meine Großmutter erzählte mir immer von einer kastanienbewachsenen Straße in Brockau (Brochów) im Süden des Stadtzentrums von Breslau. Ich bin gespannt, und tatsächlich habe ich wieder alles gefunden. Der schöne Bahnhof, der Ring, das herrliche Rathaus, und dann die kleine Stadt Brockau, die Parkstraße (ul. Koreańska), aber viele Kastanien gibt es nicht mehr und auch keine Maikäfer, die Schule gibt es nicht mehr und auch nicht die vielen hübschen Villen. Auch hier bei uns im Westen (Deutschland) sterben die Kastanien. Schon mitten im Sommer werfen sie das Laub ab, aber ich habe „unseren“ Park (Park Koreański) gefunden und die Paul-Keller-Straße (schlesischer Dichter) (ul. Piwniczna) und dann die Rotdornallee (aleja Róż). Hier stand mal das Haus unserer Familie.
Aber Rotdornbäume (głóg czerwony) (Crataegus) gibt es nicht mehr. Als ich meiner Großmutter am Handy erzähle, wo ich gerade bin, verschlug es ihr die Sprache.
Meine Flüchtlingsomas haben in der neuen Heimat alle wieder Fuß gefasst. Sie haben Gärten mit vielen Bäumen. Es gibt einen Bach, uralte Eichen, schöne bunte Buchen, auch Tannen, die einmal im Jahr Weihnachten spielen dürfen.
Und es gibt eine sehr große alte Linde. Eine Kastanie hat einen Blitzschlag nicht überlebt. Einen Rotdorn habe ich auch nicht gefunden, aber es blüht überall von Frühjahr bis zum Herbst.